Urlaub im Militärputsch

Ein langes Wochenende in Istanbul zur falschen Zeit

Es fängt schön an. Wir landen im Sonnenschein, es ist Freitagmorgen, der Bus in die Stadt kommt sofort und hält in der Nähe unseres Hotels. Erstmal frühstücken. Wir essen eine riesige Käseplatte bei  Namlı Gurme in Karaköy fast am Meer. In dem großen Feinkostgeschäft kann man sich die Speisen frisch an der Theke zusammenstellen lassen. Was für eine gute Idee, eine Stadt da zu gründen, wo man immer schnell am Meer ist und dann auch noch so eine gute Küche dazuzuerfinden.

Militärputsch in Istanbul (13)
Heiße Kastanien im Sommer!

Nach der Mittagspause entdecken wir unser Viertel, Beyoğlu, die İstiklal Caddesi herauf zum Taksimplatz. Wir trinken Eiskaffee in einem Café mit Dachterrasse und ruhen uns auf einer Bank im Gezi Park aus. Wir bleiben in der Gegend, die Freundin einer Freundin hat uns eine Bar in der Nähe empfohlen, in der es oft Live Musik gibt, Arsen Lüpen. Beim Abendessen sehe ich einen Polizeihubschrauber in der Straße über uns stehen und scherze, dass ich auf mein Handy schauen muss, um zu sehen ob jemand versucht hat mich wegen eines Terroranschlags zu erreichen. Aber es gibt keine Nachrichten, wir essen weiter. Statt in die Bar gehen wir aber nach Hause, den Freund, mit dem ich reise, bekommt das Abendessen nicht. Im Hotelbett schläft er sofort ein, ich lese noch Zeitung. Da kommen die ersten Meldungen: Militärputsch. Bosporusbrücken gesperrt. Atatürk Flughafen abgeriegelt. Ausgangssperre. Ich bin müde aber wie soll ich schlafen, wenn sowas um mich herum passiert? Der Fernseher ist kaputt, ich kann mich nur über das Internet informieren. Hoffentlich wird das nicht abgestellt, wie die türkische Nachrichtenseite, die auf Englisch schreibt. Um mich aufzuheitern stelle ich mir vor wie Ursula von der Leyen und die Bundeswehr putschen, mit ihren schiefen Gewehren. Mein Freund schläft weiter. Sollte ich die Tür abschließen und den Schlüssel stecken lassen, damit niemand reinkommt und in Kauf nehmen, dass es dann wegen der Stromkartenfunktion keine Elektrizität mehr gibt oder vertraue ich der Tür auch so? Ich muss dringend schlafen, es ist schon spät. Vertrauen. Ich behalte den Strom. Unsere Mobiltelefone müssen für den Ernstfall geladen sein.

Gegen vier wache ich wieder auf. Von über unser Hotel fliegenden Kampfjets. Die explosionsartigen Geräusche ordne ich erst später dem Durchbrechen der Schallmauer zu. Woher soll ich auch wissen, wie sich sowas anhört? Aber die Nachrichten sagen, dass der Putsch wohl niedergeschlagen und sich die Situation beruhigt hat. Es gibt viele Tote. Ich schlafe wieder ein.

Militärputsch in Istanbul (24)
Frühstück im Café Privato

Am Morgen bin ich nervös und übernächtigt. Aber nicht tot und das Hotel steht auch noch. Auf meinem Telefon einige Nachrichten aus der Kategorie Oh-Gott-bitte-sag-dass-du-noch-lebst-bleib-drinnen-komm-nach-Hause. Der Hotelmann sagt. „It’s 99% safe outside!“. Ich: „Oooookay?“ Das ist ja beruhigend. Der Hunger treibt uns raus, es gibt ein fabelhaftes Frühstück im Cafè Privato  – in dem aber kaum jemand sitzt. Auf lauter kleinen Tellerchen gibt es verschiedene Aufstriche, Käse, Kompott, Börek, Brot und ganz viel Tee. Neben uns sitzt eine türkische Freundesgruppe. An den festen Umarmungen und den geschwollenen Augen sieht man, dass auch sie nicht geschlafen haben.

Militärputsch in Istanbul (38)
Der Taksimplatz am Samstagmorgen

Meine Familie sagt: „Geh kein Risiko ein, das ist es nicht wert.“ Als ob ich sofort loslaufen Panzergucken würde. Natürlich stehen am Taksimplatz gar keine Panzer mehr, in gespenstisch schneller Geschwindigkeit wurden die Spuren getilgt, es gibt mehr Journalisten und fotografierende Touris als Demonstranten.

Militärputsch in Istanbul (53)
Cay auf der Fähre

Das Auswärtige Amt empfiehlt öffentliche Plätze zu meiden. Wir fahren nach Kadiköy, in den asiatischen Teil der Stadt. „How much is the-“ – „It’s free. Just go. Go!“ Der Nahverkehr kostet nichts mehr. Und das liegt wohl nicht daran, dass meine genauen Nachfragen zum Fahrplan gestern so traumatisch waren.

Militärputsch in Istanbul (65)
Reisetagebuchschreibein im leeren Café

Später erfahre ich, dass so AKP-Mitgliedern erleichtert werden soll Demonstrationen zu erreichen. Auf der Fähre ist es ruhig, für eine Lira gibt es frischen schwarzen Tee. Angekommen setzen wir uns in ein Café, es ist zu heiß zum Herumlaufen und ich bin zu müde. Wir sind die einzigen Gäste. An einem Samstagnachmittag auf der Hauptbarstraße. Am Geschäft gegenüber hängen drei Türkeiflaggen. Wir gehen ans Meer, es gibt einen kleinen Park. Paare sitzen zusammen, Freundinnen rauchen und reden. Ein Mann verkauft frische Austern.

Militärputsch in Istanbul (85)
Der Hosenträgermann und das Meer

Abendessen gibt es im Ciya, man kann sich eine eigene Auswahl am Büffet zusammenstellen, wenn einen die Karte überfordert. Es ist lecker. Ich habe trotzdem keinen Hunger. Den Nachtisch, den mir meine Schwester so nachdrücklich ans Herz gelegt hat, Katmer, ist aus. Das Bier, das wir danach in einer Bar bestellen, trinken wir nicht aus sondern fahren nach Hause. Wieder ohne Sicherheitskontrolle, ohne zu zahlen.

Militärputsch in Istanbul (144)
Hagia Sophia

Aber so ein Putschversuch hat auch Vorteile. Am nächsten Tag kommen wir in die Hagia Sophia nach nur fünf Minuten in der Schlange. Die ehemalige Kirche, die erst zur Moschee und dann zu einem Museum wurde, strahlt Ruhe aus. Die Steinschwellen sind ausgetreten, von Jahrhunderten von Schritten. Die Hagia Sophia ist stehen geblieben. Wie ihre Nachbarin, die schöne Blaue Moschee.

Zumindest am letzten Tag haben wir zwei touristische Pflichttermine absolviert. Ich habe von Istanbul zu wenig gesehen. Diese Stadt ist chaotisch und aufregend und schön. Sie hat es nicht verdient, beschossen zu werden. Und dann „gesäubert“. Als ich das Istanbulwochenende gebucht habe, freute ich mich auf Kultur und Kulinarik und jetzt würde ich von Reisen dorthin abraten. Als wir abheben bin ich erleichtert nach Hause zu kommen und traurig, wie wenig ich Istanbul genießen konnte.

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